Du weisst, dass Bewegung dir guttun würde. Du hast es dir schon hundertmal vorgenommen. Am Montag fängst du an. Nach den Ferien. Wenn das Wetter besser wird. Wenn du weniger Stress hast. Doch der Montag kommt und geht, die Ferien sind vorbei, und irgendwie ist immer gerade nicht der richtige Moment. Diese Erfahrung teilst du mit Millionen anderen Menschen. Der erste Schritt ist tatsächlich der schwierigste.
Das Gute ist: Es liegt nicht an dir. Oder genauer gesagt, es liegt nicht an einem Mangel an Willenskraft oder Disziplin. Dein Gehirn ist so verdrahtet, dass es Energie sparen will. Jede neue Aktivität bedeutet zunächst Aufwand, Unsicherheit, Anstrengung. Dein Verstand sucht automatisch nach Gründen, warum jetzt gerade nicht der richtige Zeitpunkt ist. Das ist keine Charakterschwäche, sondern ein evolutionäres Programm, das uns in Zeiten der Knappheit geholfen hat zu überleben. In unserer heutigen Welt mit Überfluss an Kalorien und Mangel an natürlicher Bewegung arbeitet dieses Programm jedoch gegen uns.
Warum der Anfang so schwer ist
Die Psychologie kennt verschiedene Mechanismen, die das Anfangen erschweren. Das Verstehen dieser Muster ist bereits der erste Schritt, sie zu überwinden.
Der innere Widerstand
Steven Pressfield nennt es in seinem Buch "The War of Art" schlicht "Resistance": eine unsichtbare Kraft, die sich allem Neuen, allem Kreativen, allem Wachstum entgegenstellt. Je wichtiger eine Veränderung für uns ist, desto stärker spüren wir diesen Widerstand. Das erklärt, warum du dich vielleicht problemlos zu unwichtigen Aktivitäten aufraffen kannst, aber bei wirklich bedeutsamen Vorhaben wie regelmässiger Bewegung blockiert bist.
Dieser Widerstand zeigt sich in vielen Formen: Aufschieben, Ausreden finden, plötzlich dringende andere Aufgaben entdecken, Müdigkeit, schlechte Laune, oder das Gefühl, dass heute einfach nicht der richtige Tag ist. Wenn du diese Muster erkennst, hast du schon gewonnen. Denn dann weisst du: Das bin nicht ich, das ist der Widerstand. Und der Widerstand lügt.
Forschungsergebnis
Eine Studie der University College London zeigte, dass es durchschnittlich 66 Tage dauert, bis eine neue Gewohnheit automatisch wird. Die gute Nachricht: Die ersten Tage sind die schwierigsten. Nach etwa zwei Wochen wird es deutlich leichter.
Die Angst vor dem Scheitern
Viele Menschen fangen deshalb nicht an, weil sie Angst haben zu scheitern. Sie denken an frühere Versuche, die im Sand verlaufen sind. Sie malen sich aus, wie sie nach drei Wochen wieder aufhören und sich dann noch schlechter fühlen als vorher. Diese Angst ist verständlich, aber sie basiert auf einem Denkfehler: Sie setzt voraus, dass Scheitern eine Katastrophe ist und dass Erfolg bedeutet, niemals aufzuhören.
In Wahrheit ist jeder Versuch wertvoll. Selbst wenn du nach zwei Wochen wieder aufhörst, hast du in diesen zwei Wochen etwas für deinen Körper getan. Du hast Erfahrungen gesammelt, die dir beim nächsten Anlauf helfen werden. Die erfolgreichsten Menschen sind nicht die, die nie scheitern, sondern die, die nach jedem Scheitern wieder aufstehen.
Die Macht der kleinen Schritte
Der grösste Fehler beim Anfangen ist, zu viel auf einmal zu wollen. Du nimmst dir vor, ab sofort dreimal pro Woche eine Stunde zu joggen, gesund zu essen, früh aufzustehen und nebenbei noch zu meditieren. Nach spätestens einer Woche bist du erschöpft und frustriert, weil du nicht alles durchhalten konntest.
Die Wissenschaft zeigt einen anderen Weg. James Clear beschreibt in "Atomic Habits" das Prinzip der minimalen Dosis: Beginne mit einer Gewohnheit, die so klein ist, dass du sie nicht nicht machen kannst. Nicht 30 Minuten joggen, sondern die Joggingschuhe anziehen. Nicht ins Fitnessstudio gehen, sondern einen Spaziergang um den Block machen. Nicht jeden Tag trainieren, sondern einmal pro Woche.
Praktischer Tipp
Nimm dir für die ersten zwei Wochen nur fünf Minuten Bewegung pro Tag vor. Das klingt lächerlich wenig, aber genau das ist der Punkt. Nach fünf Minuten kannst du aufhören. Meist wirst du aber weitermachen wollen, weil du schon in Bewegung bist.
Warum klein besser ist als gross
Kleine Schritte funktionieren aus mehreren Gründen besser als grosse Vorsätze. Erstens umgehen sie den inneren Widerstand. Dein Gehirn sieht fünf Minuten nicht als Bedrohung, während eine Stunde Alarm auslöst. Zweitens baust du Erfolge auf. Jeder Tag, an dem du dein Miniziel erreichst, stärkt dein Selbstvertrauen. Drittens schaffst du eine Identitätsänderung. Du wirst zu jemandem, der sich bewegt. Nicht zu jemandem, der es versucht, sondern zu jemandem, der es tut.
Strategien, die wirklich funktionieren
Die folgenden Strategien basieren auf psychologischer Forschung und haben sich in der Praxis bewährt. Nicht alle werden für dich funktionieren, aber einige werden es. Probiere aus, was zu dir passt.
Die Wenn-Dann-Planung
Anstatt dir vorzunehmen "Ich werde mehr Sport machen", formuliere einen konkreten Plan: "Wenn ich morgens aufstehe, dann mache ich fünf Minuten Stretching, bevor ich dusche." Diese Wenn-Dann-Verknüpfung verankert die neue Gewohnheit an einer bestehenden Routine und nimmt dir die Entscheidung ab. Du musst nicht jeden Morgen neu überlegen, ob und wann du dich bewegst. Es passiert einfach.
Die Umgebung gestalten
Mache es dir so leicht wie möglich. Lege deine Sportkleidung am Abend bereit. Stelle deine Yogamatte sichtbar hin. Wenn du zur Arbeit radeln willst, stelle dein Velo an die Haustür. Jede kleine Hürde, die du beseitigst, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass du anfängst. Umgekehrt gilt: Entferne Ablenkungen. Das Handy in einen anderen Raum legen, den Fernseher ausstecken. Gestalte deine Umgebung so, dass Bewegung der Weg des geringsten Widerstands wird.
Die soziale Verpflichtung
Wir Menschen sind soziale Wesen. Es fällt uns schwerer, andere zu enttäuschen als uns selbst. Nutze das: Verabrede dich zum Spaziergang mit einer Freundin. Melde dich für einen Kurs an. Erzähle jemandem von deinem Vorhaben. In Basel gibt es zahlreiche Möglichkeiten, in einer Gruppe aktiv zu werden, von Lauftreffs bis zu Vereinen, die auch Anfänger willkommen heissen.
Der Fokus auf das Gefühl danach
Erinnere dich daran, wie du dich nach Bewegung fühlst. Nicht während der Anstrengung, sondern danach. Diese Zufriedenheit, diese Lebendigkeit, dieser klare Kopf. Die Forschung zeigt, dass Menschen, die sich auf die positiven Gefühle nach dem Sport konzentrieren, eher dabei bleiben als solche, die sich auf die Anstrengung fokussieren. Schreibe dir auf, wie du dich nach Bewegung fühlst, und lies es, wenn du dich nicht aufraffen kannst.
Wenn alles andere nicht hilft
Manchmal reichen Strategien nicht aus. Manchmal gibt es tiefere Gründe, warum wir uns nicht bewegen können. Wenn du merkst, dass hinter deiner Blockade mehr steckt als Bequemlichkeit, etwa Ängste, die dich lähmen, oder ein tiefes Erschöpfungsgefühl, das auf ein Burnout hindeuten könnte, dann ist professionelle Unterstützung der richtige Weg. Es ist keine Schwäche, sich Hilfe zu holen. Es ist ein Zeichen von Stärke und Selbstfürsorge.
Manchmal können auch sanftere Ansätze helfen, innere Blockaden zu lösen. Hypnotherapie etwa kann helfen, unbewusste Muster zu verändern, die dich vom Handeln abhalten. Der Vorteil ist, dass sie an der Wurzel ansetzt und nicht nur an den Symptomen.
Der erste Schritt ist der wichtigste
Es gibt keinen perfekten Zeitpunkt zum Anfangen. Es gibt nur diesen Moment. Die Frage ist nicht, ob du bereit bist, denn bereit fühlt man sich nie. Die Frage ist, ob du trotzdem anfängst. Nicht morgen, nicht nächste Woche, sondern heute. Nicht mit einem grossen Plan, sondern mit einem kleinen Schritt. Steh auf. Mach fünf Minuten etwas, egal was. Und dann mach morgen wieder fünf Minuten. Der Rest kommt von alleine.
Du musst nicht alles auf einmal ändern. Du musst nur anfangen. Und wenn du heute anfängst, dann bist du morgen schon weiter als gestern. Das ist alles, was zählt.
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